Mittwoch, 28. Juni 2006

Afrikanische Tränen

"Pferde fühlen sich geborgen, wenn man die Führung übernimmt", sagte mein RL zu mir. Vorangegangen war ein mittelschweres Drama. Ich wollte so mutig sein und war so ängstlich. Nachdem ich den Stall zehn Minuten verzweifelt nach einem Führstrick abgesucht hatte, war wieder alles zu spät.
Kenia scheuchte mich vier Runden durch die Box, drohte Bisse an und zuckte dann mit der Hinterhand. Ich konnte nicht mehr. Der Angstschweíß war mir längst ausgebrochen, mein Puls raste - sie spürte es. Sie bekam selbst Angst.
Ich habe den Teufelskreis nicht durchbrechen können, ärgerte mich maßlos über mich selbst und am allermeisten über meine Tränen, die mir in all der Panik aus den Augen schossen. War ein hormonell sehr ungünstiger Zeitpunkt für eine Diskussion mit einem Problempferd.

Mein RL ging ohne mit der Wimper zu zucken in die Box und sattelte sie innerhalb von zwei Minuten. Ich stand daneben, wütend und fassungslos. Er sagte nicht ein Wort zu ihr, und sie drohte nicht einmal. Riss nur kurz den Kopf nach oben.
"Es ist die Körperhaltung", sagte er anschließend. "Jeder, der mit dieser Körperhaltung wie ich eben in die Box geht, wird mit ihr umgehen können."

Nun, wie bitte model ich 32 Jahre antrainierte, aber miese Körperhaltung um? Wie werde ich binnen weniger Wochen zu einer selbstbewussten, toughen Frau? Wie nur soll ich das ausstrahlen, was ich nicht bin? Ich kann nicht so tun, als wäre ich es. Dafür sind Pferde zu schlau.

Schon Curry hat mich nicht als Leittier akzeptiert; sonst hätte er mich nicht nach jedem Ritt als großes Sabbertuch benutzt. Er ist einfach zufrieden mit mir, weil ich leicht bin und er nicht viel tun muss, um mich durch die Gegend zu tragen. Er ruht in sich und weiß genau, was er zu tun hat. Aber Kenia? Sie ist außer sich. Und es kann doch nicht die Lösung sein, dass man sie anfängt zu hassen, um mit ihr klar zu kommen.

"Dann kriegste halt das nächste Mal ein anderes Pferd."
"Aber das ist doch keine Lösung!"
"Es ist die einfachste..."
"Ich mag keine einfachen Lösungen", bellte ich ihm hinterher. Ich kam mir vor wie 14, damals im Unterricht, wenn ich wieder einmal mit meinen Lehrern diskutierte und sie langsam, aber sicher in den Wahnsinn trieb.

Da ich noch ein Erfolgserlebnis brauchte, habe ich mir eben von Mammutjäger den Schaltplan für seine neue Illusion erklären lassen. Ich weiß jetzt eine ganze Menge kluger Dinge über Relaisschalter und ich habs sogar verstanden. Zumindest funktioniert mein Hirn noch, wenn auch der Rest - Bauch, Herz, Puls - macht, was er will.

Die Angst war schon immer meine größte Feindin.
Puschkin - 28. Jun, 09:21

Problempferde sind auch nur Menschen ;)

Hallo liebe Betty!

Erstmal: Kopf hoch!
Ich glaube nicht, dass dein RL dir was böses wollte, als er meinte, er würde dir das nächste Mal ein anderes Pferd geben. Ich kann mir zwar denken, wie du dich nach so einem Spruch fühlst - ich wäre nicht weniger sauer, enttäuscht und geknickt - aber erstmal hat er Recht.

Du brauchst im Moment ein Pferd, das dir ein bißchen Sicherheit und Selbstbewußtsein gibt. Kenia ist da nicht der richtige Ansprechpartner, Curry allerdings auch nicht. Kenia macht einen auf Furie und Curry ist ein "Mach du mal, ich mach einfach mit" Kumpeltyp. Kein schlechtes Pferd zum erlenen des Umgangs mit den Tieren, aber auch kein Kandidat, der einem Selbstbewußtsein geben kann.

Frag das nächste Mal gezielt nach einem Pferd, das du noch gar nicht geritten hast oder vor sehr langer Zeit zum letzten Mal. Versuch mal eine Weile Erfahrungen mit sovielen verschiedenen Pferden zu sammeln, wie es eben geht. Das gibt dir dann die Möglichkeit, viel eher gelassener zu reagieren.

Und sprich mal mit deinem RL, ob nicht vielleicht die Möglichkeit besteht, dass er mal mit dir und Kenia übt, wenn er ein bißchen Luft hat. Vielleicht mal an einem Wochenende und nicht kurz vor einer Reitstunde. Dann hat er Ruhe, kann dir was erklären und dir vielleicht auch ein bißchen Selbstbewußtsein im Umgang mit dem Pferd vermitteln.

Hassen muß man Kenia nicht, um mit ihr klar zu kommen. Man muß ihr lediglich das Gefühl vermitteln, dass es einen nicht interessiert, welche Laune sie gerade hat. Ignorieren wäre vielleicht das richtige Wort. Denk an dein Erlebnis mit ihr am Waschplatz. Da hast du sie auch ein bißchen ignoriert.

Wirf nicht die Flinte ins Korn. RL im allgemeinen neigen nicht dazu, sich auf Schüler einzustellen, wenn sie nicht auf dem Pferd sitzen. Ist ne kleine Charakterschwäche von ihnen.

Ganz liebe Grüße und einen schönen Mittwoch,
Vanessa

mondsüchtig - 28. Jun, 12:11

Hi Vanessa,
vielen lieben Dank für diese aufmunternden Worte. Und ich werde auch nicht aufgeben - dazu bin ich viel zu stur. Wir sind nach dem Reiten gestern noch im Reiterstübchen zusammen gesessen und da haben mir ein paar Leute aus meiner Gruppe ihre Hilfe angeboten. Das nächste Mal gehen sie mit mir rein - und zwar so lange, bis ich es irgendwann alleine wage. Ich brauche halt jemand Erfahrenen im Hintergrund, sonst fühle ich mich so alleine gelassen und hilflos. Mein RL kann das nicht leisten, da er direkt vorher Stunde gibt - und die hat er gestern schon für mich unterbrochen... Er ist wirklich in Ordnung, aber was du sagst, stimmt schon. Er nimmt einen erst richtig wahr, wenn man auf dem Pferd sitzt.
Ich hab schon so viel über Pferde und ihr Verhalten gelesen - aber irgendwie nützt das gar nichts, wenn man dann in der Box steht und angezickt wird. Ich muss Routine bekommen und lernen, dass mir nichts passiert. Wahrscheinlich wollte ich (wieder einmal) zu schnell ein Erfolgserlebnis erzwingen...
Liebe Grüße
Betty

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