Mittwoch, 5. Juli 2006

Mein Sommer mit Kenia

Da hat mich doch glatt mein Elefantinnen-Gedächtnis getäuscht... Das Jugendbuch hieß nicht "Mein Sommer mit Kenia", sondern "Ein Jahr mit Kenia".
Wie auch immer: Gestern hatte ich einen Hauch von einem "Mein Sommer mit Kenia"-Gefühl.

Warum so viele Gedanken um ein einziges, zickiges Pferd, das noch nicht mal mir gehört und auch niemals mir gehören wird? Dass sich wahrscheinlich nicht einmal an mich erinnern kann, wenn ich nächste Woche wieder in seine Box stolpere?

Es ist wichtig für mich. Aus vielerlei Gründen.
Der eine ist, dass ich Herausforderungen mag und mir schwierige Wesen sympathisch sind - wie ich nun feststelle, bezieht sich das nicht nur auf Menschen, sondern auch auf Tiere.
Der nächste ist, dass ich Kenia verstehe. Ich verstehe, warum sie das tut und ich möchte ihr einen Grund geben, es bei mir nicht zu tun. Vielleicht ein Ding der Unmöglichkeit, mag sein.
Dann, zum dritten, ist sie wunderbar zu reiten und, wie sich gestern herausstellte, auch im Freien relativ verlässlich. Zumindest gab sie mir aber das Gefühl, verlässlich zu sein, und das ist schon die halbe Miete.

Aber am wichtigsten ist die Sache mit der Angst.
Gerade eben, als ich anfing, diese Zeilen zu schreiben, kam mir eine Epidose aus meiner Kindheit in den Sinn.
Unsere Nachbarn hatten immer Wachhunde - schöne, große Schäferhunde. Als wir einzogen, war die Hündin Fax noch da. Eine brave, alte, friedliche Seele mit grauer Schnauze. Ihr folgte der Heißsporn Hasso, ein quirliger, aufgeregter Rüde mit fast schwarzem, breiten Kopf - kurz: ein Prachttier.
Hasso wurde schnell groß und kräftig. Verspielt war er jedoch immer noch. Nie werde ich diese albtraumhafte Szene vergessen, als Hasso plötzlich aus dem Tor schoss, quer durch unseren Garten fegte und meinen im Sandkasten spielenden Bruder - er war fast noch ein Baby - umschmiss. Wir alle dachten, dass Hasso ihm mindestens den Kopf abbeißt. Meine Mutter schrie, mein Vater schrie, meine Schwester weinte, ich war erstarrt und gleichzeitig wütend. Nie hatte ich Angst vor Hunden gehabt, aber jetzt war sie da. Hasso schien unberechenbar zu sein.
Mein Bruder hatte bis auf einen gehörigen Schreck nicht mal einen Kratzer, aber ich verspürte ab diesem Zeitpunkt keine große Freude mehr, wenn ich zum Spielen in den Garten ging. Hasso war zur Gefahr geworden, die stets hinter dem Zaun lauerte. Mal sichtbar, mal unsichbar. Aber sie war da.
Irgendwann hatte ich schlichtweg keine Lust mehr, Angst zu haben. Ich wollte meinen angstfreien Garten zurück. Stur und findig, wie Kinder sein können, beschloss ich, Hasso zu bestechen. Anfangs wagte ich mich nur in einigen Metern Abstand an ihn heran, wenn ich ihm abends nach dem Essen eine Salamischeibe brachte. Aber ich tat es jeden Abend und kam ihm stückchenweise näher. Es dauerte nur wenige Wochen, bis ich es wagte, durchs Gitter und Angesicht in Angesicht mit diesem bildschönen Tier zu sprechen, seine Luft zu atmen, irgendwann vorsichtig meine Hand herüber zu strecken. Nie werde ich vergessen, wie ich ihn das erste Mal streichelte und kraulte und er es genoss - ich in Zukunft nur zu rufen brauchte, und er kam freudig angetrabt. Von nun an war der wilde Hasso mein Ein und Alles. Und es kam der Tag, an dem ich mich in der Schaukel verhedderte und Hasso hinter seinem Gittertor schier ausflippte und so lange anschlug, bis jemand auf mich aufmerksam wurde. In dem Moment hatte ich mich zwar gerade selbst befreien können, doch ich wusste genau, dass Hasso mich beschützen wollte. Dass er nach Hilfe bellte. Zudem gehorchte er mir aufs Wort.

Diese Beharrlichkeit und diese Unlust, Angst zu haben - - das muss ich aus mir hervorkramen und für Kenia wieder auferleben lassen.
Denn es ist eine Tatsache, dass ich mit den Jahren immer vorsichtiger und ängstlicher geworden bin; Gefahren vermeide, wo es nur möglich ist.

Gestern straffte ich meine Schultern, als ich zusammen mit einer erfahrenen Reiterin die Box betrat und wir sie gemeinsam halfterten. Trotz der Todesangst beim letzten Mal war ich wieder gekommen. Mit viel Zeit.
Und als wäre das eine Belohnung für diese Überwindung, hatten wir eine tolle Stunde draußen auf dem Dressurplatz; zwar bei brütender Hitze und umzingelt von Bremsen, aber ich habe es genossen, weil ich merkte, wie unerschrocken Kenia ist, wenn sie nur Freiheit wittert.
Und als sie beim Abduschen neugierig wurde, genau den Brausenkopf beäugte und schließlich daraus trank, als ich ihn vorsichtig zu ihr führte, obwohl ihr das Wasser wild ins Gesicht sprühte, merkte ich wieder mal, was für ein Prachtross in ihr steckt.

Es gibt also tatsächlich viele Gründe, sich über ein Pferd wie Kenia Gedanken zu machen.
Es heißt, dass man in den Augen eines Pferdes den Zustand der eigenen Seele erkennt. Ich glaube, da ist etwas dran.
Und ich bin so froh, dass ich meinen Reitlehrer gebeten habe, sie mir wieder zuzuteilen.
Noch ist es viel zu früh, um von einer echten Entspannung zu reden. Ich stelle mich auf das nächste Gefecht ein.
Aber ich habe wieder Mut gefasst. Und das ist ein schönes Gefühl.

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Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

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