Montag, 27. Februar 2006

Narren-Phobie

Seit einer knappen Stunde schneit es heftig und ich kann eine leise, schwelende Gehässigkeit in Gedanken an all die Narren, die hier heute noch die Straßen stürmen wollen, nicht unterdrücken. Auch, wenn ich jetzt im Rheinischen zu Hause bin: Es sei mir verziehen. Habe ich doch als kleines Mädchen ein echtes Narren-Trauma erlitten, das nach wie vor nicht ausgeheilt ist.
Wie an jedem Wochenende und in jeden Ferien waren wir auch an Fasching bei meiner Oma im Odenwald, in einem kleinen, beschaulichen Kurstädtchen am Neckar. Dort gehörte der Fasnachtsumzug zu den Höhepunkten des Jahres. Sonst gab es da nämlich nicht all zu viel. Vielleicht noch der Kuckucksmarkt im Sommer.
Was für manche die schönste Zeit des Jahres war, vor allem für Kinder, die endlich zu Cowboys, Indianern und Piraten werden konnten, war für mich ein einziger Horrortrip. Dank meiner überquellenden Fantasie war ich lange davon überzeugt, dass es Hexen, Feen, Zwerge und Kobolde gibt - - Mörder, Diebe und Halunken aber waren, da war ich mir sicher, garantiert eine Erfindung der Erwachsenen. Vor ihnen fürchtete ich mich nicht, wohl aber vor Hexen, Zwergen und bösen Feen. Ich spüre noch heute diese Panik im Nacken, die mich packte und schüttelte, als ich bei meinem ersten Faschingsumzug die vielen, hässlichen Hexen mit ihren langen spitzen (alemannischen) Fingern auf mich zulaufen sah. Oh Gott, weg, fliehen, sofort, warum bleibt Papa denn stehen, warum bleibt meine Schwester stehen, merken die denn nichts? Warum kapiert das keiner? Die werden uns alle verzaubern oder einsperren oder die Augen auskratzen, jedenfalls ganz bestimmt etwas Schlimmes, ich will weg, warum bringt mich keiner weg!!??
Nein, es brachte mich keiner weg, die Hexen kamen näher und näher und ich begann zu schreien wie am Spieß. Nun war das nichts Außergewöhnliches, wenn ich schrie. Ich schrie auch, wenn ich nicht mehr weitergehen wollte und legte mich dann gerne quer über den Weg, selbst im tiefsten Winter; ich schrie, wenn mir die anderen Kinder im Kindergarten zu laut wurden und besonders durchdringend schrie ich in dem winzigen Skischuh-Anziehraum au der Glösalm, der einfach grässlich eng und stickig war. Man lächelte also auch hier über mein Geplärre. Papa nahm mich zwar auf den Arm, aber zur Flucht war er nicht bereit. Ich musste sie ertragen, die Hexen, Jahr für Jahr, obwohl mir die Angst schon Stunden vor dem Umzug, beim Schminken und Verkleiden, eiskalt den Rücken hochkrabbelte.
Irgendwann kapierte ich, dass diese fürchterlichen Weiber nur so taten, als ob und nicht wirklich böse waren; und zu diesem Zeitpunkt hatte ich auch verstanden, dass es tatsächlich Mörder und Diebe und Halunken gibt. Trotzdem war ich mir nachts nicht immer ganz sicher, ob sich da nicht doch eine böse Fee in meinen Jacken seitlich am Schrank versteckt. Sie würde da doch wunderbar auf mich lauern können.
Um ungetrübte Freude am Faschingstreiben zu entwickeln, war es zu spät. So ist es geblieben. Ich mag es nicht. Und inzwischen weiß ich durch die Arbeit für die Zeitung auch, dass für die Narren Fasnacht eine todernste Sache ist. Da werden Zeilen gezählt und mit den anderen Vereinsberichten verglichen, da werden Fotos ausgemessen und bei einem Hauch von Ironie zwischen den Zeilen mit einer Massen-Abo-Kündigung gedroht.
Insofern fiebere ich sehnsüchtig dem Aschermittwoch entgegen.
Fasching

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Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

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