Donnerstag, 9. März 2006

Es hätte so schön sein können...

Gestern wieder ein langer Recherchetag an einer Schule. Wie so oft in den vergangenen langen Wochen. Bisher stellte sich nach dem Verlassen des Schulgeländes oft Erleichterung ein. Nachts wanderte ich dann wieder suchend durch meine alten Schulen. Das Thema verfolgt mich. Gestern begriff ich langsam, warum. Warum ich so oft träume, noch einmal zur Schule zu gehen.

Denn dieses Gymnasium gestern machte Lust auf Schule. Es war sauber. Freundlich. Hell. Mitten in der Natur und doch nicht verloren. Die Atmosphäre war ruhig und freundlich. Beim Betrachten des Internats für die Hochbegabten und die sportlichen Ausnahmetalente stellte sich so etwas wie Sehnsucht ein. In meiner Jugend hätte ich zu manchen Zeiten ein Internat meinem Elternhaus vorgezogen. Die Zimmer waren großzügig und sahen aus, als könne man wunderbar in ihnen lernen. Ich mochte den Kraftraum und die Turnhalle. In jedem Raum mindestens ein Lächeln.
Mir wurde klar, dass ich mir mehr Förderung gewünscht hätte. Förderung in meinen Talenten. Eine Schule, in der ich mich entwickeln kann. Ich bin weder hochbegabt noch ein sportliches Ausnahmetalent, aber ich blühte stets dann auf, wenn jemand an mich glaubte und mich positiv forderte. Mein Deutschlehrer in der Oberstufe war gefürchtet, aber ich liebte seinen Unterricht, weil er anspruchsvoll und schwierig war. Ich kam an meine Grenzen, aber sie blieben nicht unerreichbar. Weil er Freude daran zeigte, wenn man sich Mühe gab. Das freute ihn aufrichtig. Und wenn man diese Grenzen gar erreichte, sprach er sogar Lob aus.
Mein Kunstlehrer hingegen schrieb mich irgendwann innerlich ab. Begabt: ja, Kunstgeschichte: sehr gut, aber nicht unter Druck kreativ. Das sagte er mir auch und ich glaubte es. Dabei stimmte das gar nicht. Er schätzte meine renitente Art falsch ein und riet mir von einem Kunststudium ab. In der praktischen BK-Abiarbeit haute es ihn aus den Socken. "Wenn es 17 Punkte gäbe, wären das 17", sagte er und das schlechte Gewissen stand ihm ins Gesicht geschrieben. Ich solle doch Kunst studieren, sagte er. Unbedingt! Er habe sich da geirrt. Zu spät. Der Mappenabgabetermin war verstrichen, und ich hatte mich bereits für Deutsch und Geschichte eingeschrieben.
In Geschichte das gleiche Spiel wie damals im Deutsch-LK: Ich schrieb mich für ein Sprachseminar in altfranzösischer Quellenkunde ein. Die Professorin eine Furie, wie sie im Buche steht - dennoch gerecht und fair. Ihre Strenge verbunden mit einer gut getarnten, aber ausgeprägten Menschenfreundlichkeit spornte mich zu Höchstleistungen an. Auch sie forderte uns. Und freute sich aufrichtig, wenn wir fehlerfrei oder zumindes kreativ übersetzten.

Aber es muss eben der Raum dazu da sein. Ohne das funktioniert es nicht. Ich weiß jetzt: Ich hätte viel, viel besser sein können. Schneller. Ich hätte direkter zum Ziel kommen können. Mehr Spaß entwickeln können. Wenn nur einmal ein Lehrer hinter meiner rotzigen und sturen Fassade die Langeweile erkannt hätte. Ich habe oft nicht verstanden, wozu ich das lernen soll und warum, wo doch jeder der Meinung ist, dass ich dazu kein Talent habe. Ich hatte innerlich aufgegeben. Vor allem in den Naturwissenschaften. Deshalb traute ich mich nach dem Abi jahrelang nicht an das Mysterium Computer heran. Ich wechselte sogar die Uni, weil mich das PC-Ausleihsystem in der Bib Heidelberg abschreckte. Ich dachte, ich schaffe das nicht. Bis ich mich irgendwann überwand und feststellte: Ich kann das ja! Nicht nur das - im Volontariat war ich layouttechnisch und in Punkto Technik und Computer immer bei den Besten.

Meine Schule mag ein anerkanntes Gymnasium gewesen sein, mit diesem typischen Intellektuellenstempel. Latein als erste Fremdsprache, musischer Schwerpunkt, blablabla. Mein Lateinlehrer war ein Sadist. Er quälte kleine Mädchen. Er machte ständig sexuelle Anspielungen und grinste die verängstigten Mäuse - ich war eine davon - dabei fies an. Ich fürchtete mich so vor ihm, dass ich einmal bei der Klassenarbeit nur heulte. Ein andermal wehrte ich mich und er schrie 40 Minuten lang mit mir herum. Er beschimpfte mich und uns auf die miesteste Art und Weise, beleidigend und erniedrigend. Er unterrichtet immer noch.
Mein Chemielehrer sagte vor der ganzen Klasse, ich sei nicht ganz dicht und sollte mir meine Gehirnströme untersuchen lassen. Mein Französischlehrer liebte es, mich wild gestikulierend in die Enge zu treiben und dabei noch meine französische Aussprache auf die Schippe zu nehmen, bis die ganze Klasse lachte. Irgendwann redete ich gar nicht mehr und es hieß, ich sei faul.
Mein Mathelehrer gab offen zu, gewisse Schüler - darunter auch mich - nicht leiden zu können und schikanierte uns, wann es nur ging. Das trieb er so weit, dass irgendwann sogar meinem Vater - seinem Kollegen - der Kragen platzte und er ihm vor versammelter Klasse eine Szene machte, die sich gewaschen hatte.
So war es also, unser humanistisches Gymnasium. Kopf auf, Wissen rein, Kopf zu. Klar gab es Ausnahmen. Aber was mich motivierte, zur Schule zu gehen, waren niemals die Lehrer oder der Unterricht, sondern höchstens ein paar gut aussehende Oberstufler. Dabei war mein Wissensdurst immer und jederzeit da. Ich las nicht, ich fraß meine Bücher geradezu; ich schrieb und malte, ich interessierte mich für Psychologie und Biologie. Ich hätte mir so viele Berufe für mich vorstellen können. Es gab so vieles, was ich wissen und lernen wollte.

Deshalb würde ich manchmal wirklich gerne zurück auf die Schulbank und alles anders machen. Nur ist mir gestern klar geworden, dass das ganz stark vom Umfeld abhängt und gar nicht mal so sehr von mir selbst.
Schule muss keine Quälerei sein. Schule muss keine Angst machen. Schule kann auch etwas sein, wo man als Mensch wahrgenommen und gefördert/gefordert wird.
Schade, dass ich das so nicht erleben durfte.

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Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

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