Mittwoch, 8. Februar 2006

So weit weg

Heute ist es schwerer denn je. Seit ich auf der Welt bin, war dieser Tag vor allem Dein Geburtstag. Dieses Jahr ist alles anders. Ich kann dich nicht anrufen, ich kann dir nichts schenken, ich kann mich nicht über dich ärgern, ich kann nichts für dich heimlich in den Briefkasten werfen wie in den Zeiten, als wir uns weniger gut vertrugen. Ich kann nichts für dich malen wie damals als Kind. Nichts singen.
Ich kann nur an dich denken, und das tue ich sowieso ständig, seit gestern beinahe jede Minute, und die Traurigkeit drückt sich nachts schwer auf meine Brust und nimmt mir fast den Atem. Gegen die Tränen bin ich völlig machtlos.
Kannst du mich denn irgendwo sehen von da draußen? Spüren? Ahnen? Kann man fühlen, da, wo du jetzt bist? Und sehen? Riechen? Gibt es Jahrszeiten? Vielleicht ist da immerzu Frühling?
Sitzt du manchmal an meinem Bett, wenn ich schlafe, und passt auf mich auf? Hättest du nicht noch ein wenig länger bei uns bleiben können, fünf Jahre vielleicht, zehn, ich meine, zumindest das männliche Durchschnittsalter hättest du erreichen können, wo du doch überall immer überdurchschnittlich warst? Wenigstens so lange bleiben, bis ich es mal wage zu heiraten und Babys in die Welt zu setzen? Ohne dich trau ich mich das nicht! Du wärst der absolute Spitzen-Opa gewesen, ein Opa mit Rauschebart und einer überquellenden Liebe für kleine Rotznasen. Es wäre dir eine Ehre gewesen, wieder Windeln zu wechseln und meiner Teufelsbrut die Wunder der Welt zu erklären.
Es tut mir so Leid, dass ich Dir das nicht schenken konnte, ich habs nicht geschafft in dieser Zeit, da war so viel anderes, und es waren vor allem viel zu wenig Tage, in denen wir zusammen waren... So viele deiner Geburtstage, an denen ich wirklich nur angerufen habe... und mehr nicht...
Ich würde mein letztes Hemd geben, mein Konto räumen, auf meine Träume verzichten, nur damit es an der Tür klingelt und du stehst vor mir und alles war nur ein böser Traum.
Ich werde es nie begreifen, aber es musste wohl so sein. Wir Menschen verstehen so wenig. Vielleicht hat dich jemand gebraucht, da, wo du jetzt bist. Mehr als wir. Vielleicht gibts da noch eine Aufgabe für dich, die nicht in unser Vorstellungsvermögen passt. In meinen Träumen, in denen es uns gelingt, dich zurück zu holen, bist du immer so müde und still und erschöpft und unlustig, ganz anders, als wir dich kennen. Und dann weiß ich, dass es falsch war, dich zurück zu holen. Falsch und egoistisch. Weil du jetzt woanders sein musst.
Es war für mich schon immer schwer, Grenzen zu akzeptieren. Wollte oft mit dem Kopf durch die Wand. Aber diese Wand ist zu dick, dieser Abgrund ist zu tief. Ich kann mir meinen Kopf wund schlagen, es nützt nichts.
Wir können uns nicht mehr sehen, nicht mehr streiten, nicht mehr beschnuppern, nicht mehr unsere blöden Witze reißen. Aber ich bin immer bei dir. Ich scheiß auf diese Wand und diesen Abgrund. Ich weiß, dass du mich liebst.
Und ich liebe dich, Papa.
Alles Gute zum 66.
Papa

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Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

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