Mittwoch, 25. Januar 2006

Der Duft der Frauen

Eben, beim nachmittäglichen Gassigang mit dem Hund, kam uns auf dem Trottoir eine Frau entgegen. Um die 65, gepflegt, aber fern jeglicher erotischer Ausstrahlung. Strickrock in Beige - wahrscheinlich teure Wolle - bis zu den Knöcheln, hüftlange Jacke in einem anderen Beigeton, brauner Schal, kleines dunkles Mützchen auf ihren grauen, kurzen, gestuften Allerwelts-Haaren. Eckige goldene Brille, in der Hand eine Einkaufstasche.
Meine leider viel zu feine Nase witterte es schon, bevor sie an mir vorüberging. Sie trug "mein" Parfum.

Jetzt bin ich sehr, sehr (sehr!) verunsichert.
Duft

Missverstanden

Nein, ich lasse mich nicht hängen. Nein! Auch, wenn es zwischendurch so aussehen mag. Stattdessen mache ich wieder zu viel auf einmal. Es ist das alte Dilemma: Ich bin zu schnell. Das, was andere im seelischen und körperlichen Gleichgewicht in zwei Stunden machen, erledige ich in seelischem und körperlichen Ungleichgewicht in 40 Minuten. Aber ich bin danach genauso müde. Vielleicht sogar erschöpfter als die anderen. Ich finde dieses System auch nicht gut. Aber ich kann nicht langsam arbeiten, schon gar nicht langsam schreiben oder langsam denken... Ich kann ja ohnehin immer nur eine von diesen vielen Formulierungen für einen möglichen Satz aufschreiben, die zeitgleich in meinem Kopf Ringelpiez mit Anfassen spielen.
Doch daraus entsteht der Eindruck der Faulheit oder zumindest der Zerstreutheit. Unorganisiertheit. Der Schreibtisch voll, die Tastatur klappert - und eine halbe Stunde später hat die Olle Kopfschmerzen und liegt blass im Bett. Was für andere ein normaler Acht-Stunden-Tag ist, würde ich in vier erledigen, aber danach müsste ich ins Sanatorium, wohingegen die anderen noch mit den Freundinnen ausgehen, sich im Fitnessstudio shapen und abends ihrem Herzeliebchen was kochen.
Andere würden sich auch auf ein großes Projekt beschränken. Ich erlaube mir das nicht. Einen Autorenauftrag zu erledigen für ein über 100-seitiges Sachbuch ist kein Pappenstiel. Ich müsste viel mehr Zeit investieren. Viel mehr Ruhe. Mir viel mehr anlesen. Ich habe kein einziges Buch darüber gelesen, stütze mich nur auf meine Recherchen und das, was ich so aufschnappe. Das ist eigentlich Wahnsinn. Das hält man nervlich gar nicht aus, wenn man genau darüber nachdenkt. Mein Hirn saugt auf wie ein Schwamm, wenn ich recherchiere, und danach denke ich, ich müsste mal ganz schnell für sieben Stunden in ein Sauerstoffzelt. Und zwei Tage einfach nur schlafen. Ich hab nie gelernt, etwas bedächtig zu tun. Ich vergesse, zu essen und zu trinken und mich zu bewegen.
Ich bin dann irgendwie eine ganz grässliche, ungenießbare Person. Vielleicht sollte ich einfach so konsequent sein und sagen: "Okay, jetzt nur dieses eine Projekt. Und zwar richtig. So, wie es sein sollte. In Ruhe. Bedächtig. Planmäßig." Und vor allem dabei das Leben nicht vergessen.
Aber selbst dann würde ich ja doch nur täglich zirka vier Stunden am Schreibtisch sitzen, zwar im Schaffensrausch, aber von außen betrachtet würde es nach Dolce Vita aussehen. Jeder würde sagen: Wow, hat die es gut. So ein Leben möchte ich auch mal haben. Wenn du doch so viel Zeit hast, dann kannst du doch auch noch das machen und dieses, Wohnung aufräumen, Menus zaubern, Kontakte pflegen, dich um die Firma deines Freundes kümmern, Babys auf die Welt bringen und und und...
Ihr wisst echt nicht, wie es in mir aussieht.
Try walking in my shoes. You'll stumble in my footsteps.

P.S. Übrigens ist das der Grund, weshalb ich nie wieder in eine Festanstellung will. Da spätestens nach fünf Stunden die Arbeit erledigt war und ich innerlich so ko wie die anderen nach zehn Stunden, bekam ich jeden Nachmittag mein Tief wegen Unterforderung. Nur da sitzen, Arbeit vortäuschen, körperlich erschöpft sein, aber geistig immer noch hungrig tut niemand gut. Und früher oder später wird einem ohnehin jemand Faulheit vorwerfen... Arbeit wird eben in diesem Land in Stunden gemessen und nicht in Ergebnissen.

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Status

Online seit 6710 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Jul, 02:08

Credits


Das Ende der Leidenschaft
Der ganz normale Wahnsinn
Hottas
Hund&Katz
Ich glotz TV
Traumhaft
Zipperlein
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren

Handy-Shop