Der ganz normale Wahnsinn

Montag, 24. April 2006

Leb wohl du schönes Beinkleid...

... ein wenig wehmütig ist mir immer zumute, wenn ich mich von einer Lieblingsjeans verabschieden muss. Am Wochenende war es wieder so weit. Es fing morgens an mit einer kleinen offenen Stelle über dem Knie und endete in einer klaffenden Wunde am frühen Abend. Es war eben nicht nur meine Lieblingsjeans gewesen, sondern auch die meines Katers, der zu gerne mit seinen dicken Pfoten auf meinen Oberschenkeln tretelte, wenn ich die Hose trug. Und er hat lange Krallen...
Zwei Jahre lang hat sie mich treu durch Alltag, Freizeit und Beruf begleitet. Die anderen Jeans waren nur unbedeutende Nebenhosen im Vergleich zu ihr, obwohl sie bis auf ihre hellgrünen Nähte ein weitgehend unspektakuläres Äußeres hatte. Blau eben, ohne Elasthan (!), leicht Bootcut, niedriger Bund, aber nicht zu niedrig, und vor allem von einem perfekten Sitz gesegnet. Das ist selten. Eine Jeanssuche ist bei mir immer eine hochdramatische und von Mammutjäger inzwischen gefürchtete Angelegenheit. Die meisten sind am Bund zu weit, und wenn sie am Bund und Hintern sitzen, sind die Hosenbeine zu kurz. Schon eine in meinen Augen suboptimale Anordnung der Arschtaschen kann für mich zu einem sicheren "Nein!" führen. Das wichtigste ist eben der Hintern in einer Jeans. Wenn der nicht gut aussieht, ist es keine echte Jeans und dann wird sie auch niemals meine Lieblingsjeans werden. No Chance.
In meiner zu Grabe getragenen Jeans habe ich einiges erlebt... Sie hat eine ganze Freundschaft überdauert; sie hat zwei Brückendates (ein geneigter Leser wird wissen, was ich meine...) mit Bravour gemeistert, in ihr wurde getanzt, gestritten und geküsst, ich trug sie zu schweren Stiefeln und FlipFlops, ich trug sie in Italien und Griechenland und bei zwei Bewerbungsgesprächen. Ich bin mit ihr auf dem Boot über die Wellen gehüpft, war mit ihr auf Fotosafaris und habe sie von samtigen Pferdemäulern besabbern lassen.
Leb wohl, du geliebtes Beinkleid... und gräme dich nicht, dass es bereits eine würdige Nachfolgerin gibt.
Ein Volltreffer. Extra lange Beine und ein Arsch-Sitz vom Feinsten. Mal sehen, was ich mit ihr so erlebe...

Freitag, 7. April 2006

Ich dachte immer...

... dass ich satt werde, wenn ich mich endlich dazu entschließe, zu einem Jäger in die Höhle zu ziehen. So satt, dass ich Platons Schatten an der Wand sehnsüchtig anstarre und mir insgeheim wünsche, wieder draußen zu sein.
Dass ich bei jedem Drehen seines Schlüssels im Schloss kurz zusammenzucke und mich bei dem Gedanken ertappe, eigentlich noch ein paar Stunden länger alleine sein zu wollen. Dass ich es genieße, wenn er mal weg ist, für mehrere Tage, und ich all das machen kann, was ich früher für die Exklusivität des Alleinewohnens hielt. Vorm Fernseher essen. Laut Musik hören und durch die Wohnung hopsen. Nach dem Kochen abends alles stehen lassen, bis zum nächsten Morgen.
Aber stattdessen freue ich mich spontan, wenn ich das Geräusch des Schlüssels im Schloss höre und kann nicht verhindern, ein "Ich bin hie-er!" zu flöten, um ihn auch ja gleich zu mir zu lotsen und ihn dümmlich-selig anzustrahlen. Das passiert einfach. Ich kann nichts dagegen tun.
Und jetzt, wo er für ein paar Tage weg ist, machen diese ganzen Alleine-Sachen keinen Spaß.

Verdammt, ich hab 12 Jahre alleine gelebt, weil ich es nicht anders wollte. Ich hab wirklich Übung darin. Ich bin Profi im Alleineleben. Ich könnte Kurse geben. Eigentlich.
Verlernt man tatsächlich so schnell?

Mir macht das alles fürchterliche Angst.

Freitag, 10. März 2006

Wie man Männer in den Wahnsinn treibt ;-)

Für Frauen, die ihre Männer auf möglichst unterschwellige Art und Weise in die Flucht treiben möchten (oder wahlweise in den Wahnsinn), empfehle ich die Strategie "Nachtgespräche". Diese Strategie wurde eigens von mir entwickelt und erprobt.
"Nachtgespräche" bedeutet nichts anderes, als zu warten, bis der Mann kurz vorm Einschlafen ist und ihn dann mit Fragen zu bombardieren, bis endlich eine sehr lange, sehr intensive Diskussion entsteht. Die Kunst ist es dabei, die Einstiegsfragen möglichst harmos und lieblich klingen zu lassen.
"Nachtgespräche" wirkt auch gut gegen männliches Schnarchen. Denn nach zehn Minuten Diskussion ist der müdeste Mann wach und diesen Moment kann Frau nutzen, ungestört einschlafen zu können.

Tipp 1: Thema Wünsche und Zukunft
"Wie würdest du eigentlich unsere gemeinsamen Kinder nennen?" Diese Frage setzt voraus, dass über Kinder bisher nie geredet wurde und nicht in die gemeinsame Lebensplanung passen. Dann ist sie endlos ausbaubar.
Abgeleitete Varianten: Findest du, wir sollten eine Hausgeburt machen? Was könnte ich zum Tauffest anziehen? Antiautoritär erziehen oder lieber Waldorfschule? Würde er selbst eigentlich lieber einen anderen Namen haben? Überhaupt, hatte er eine glückliche Kindheit? Würde er auch zu Hause bleiben und die Windeln wechseln? Ökowindeln oder Pampers? Sollte man nicht besser ein Kind adoptieren und wenn, aus welchem Land? Sind asiatische Kinder eigentlich pflegeleichter als afrikanische Kinder? Ob er etwa Vorurteile habe? Wie würde das denn in der Erziehung ankommen, wenn er sein Kind mit Vorurteilen erziehe?

Tipp 2: Thema Ängste.
"Was würdest du machen, wenn die Pest wieder ausbrechen würde?"
Abgeleitete Varianten: Würdest du mit mir fliehen? Wohin würden wir fliehen? Hättest du Angst? Glaubst du denn, die Pest kommt noch mal zu uns? Oder wird aus der Vogelgrippe die Pest? An dieser Stelle empfiehlt sich ein Exkurs ins Mittelalter, Schwerpunkt Hexenverbrennung und die allgemeine Stellung der Frau damals im Vergleich zu heute. Warum sehen eigentlich Männer in Frauen oft Hexen? Findest du, dass ich eine Hexe bin? Meinst du, ich wäre als Hexe verbrannt worden? Warum nicht!? Findest du mich etwa nicht sexy? Oder nicht mystisch genug? Hast du etwa Angst vor Hexen? Bei entsprechender psychologischer Vorbildung kann das Gespräch hier einen tiefenanalytische Wendung nehmen - sprich: Mit penetranten Fragen zum Verhältnis Mann-Mutter einen Ödipus-Komplex heraufbeschwören und in der Jugend des Mannes beharrlich nach Beweisen suchen.

Tipp 3: Thema Vorurteile
Einstiegsfrage: Warst du eigentlich jemals in einen Mann verliebt? Nicht wenigstens so ein bisschen? In deiner Jugend? So zusammen onaniert oder so? Nein? Hast du etwa Vorurteile gegen Schwule? Du hasst insgeheim Schwule, oder? Oder hast du etwa ein traumatisches Kindheitserlebnis gehabt, dass du mir nicht erzählen möchtest? (Spätestens jetzt den Liebsten sorgenvoll anschauen und ihm übers Haar streichen) Wie sollte man deiner Meinung nach mit Kinderschändern verfahren? Wenn Sie ihn so weit bekommen haben, dass er sich darauf einlässt, haben Sie eigentlich schon gewonnen. Das Thema Gerechtigkeit bietet einen wunderbaren Nährboden für Diskussionen über Vorurteile jeglicher Art. Springen Sie behende vom Thema Kinderschänder über den Kannibalen von Rothenburg bis hin zu Michael Jackson (Achtung: Vorurteile gegen Schwarze) und O.J. Simpson. Enden Sie mit der amerikanischen Anti-Abtreibungsbewegung und wenn Sie dann immer noch Lust haben, schließen sie mit: "Was würdest du eigentlich machen, wenn ich jetzt schwanger wäre?"

Tipp 4: Thema Hochzeitspläne
Einstiegsfrage: Wohin würdest du mit mir Hochzeitsreise machen? Varianten: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir auf einem Kreuzfahrtschiff in Seenot geraten? Dass ein Sturm kommt? Was ist, wenn mir dann dauernd schlecht ist? Wo sollte diese Kreuzfahrt denn stattfinden? Welche Krankheiten kann man sich da holen? Bekommt in Mexiko wirklich jeder Tourist Durchfall und warum? Würden wir gleich nach der Hochzeit wegfliegen? Welche Band würden wir bei der Hochzeit engagieren? Würdest du einen Junggesellenabend machen? Meinst du, deine Kumpel würden eine Stripperin bestellen? Kannst du dir nicht vorstellen, dass mich das verletzt? Wie ich mich dabei fühle, wenn ich dir am nächsten Tag das Ja-Wort gebe und weiß, dass so eine solariumsgebräunte Schlampe auf dir rumgerutscht ist? Was denkst du dir eigentlich dabei? Nichts, oder? Du würdest dich sicher nach der Hochzeit auch hängen lassen wie all die anderen Männer, oder? (Suchen Sie angestrengt nach Gründen, weshalb dies so eintreffen könnte).

Noch ein übergreifender Tipp zum Schluss: Sollte Ihr Liebster während der Diskussionen einnicken, wirkt ein impulsartiges Zupfen an den Haaren rund um seine Brustwarze Wunder. Alternative: An den Wimpern ziehen und mit ihnen die Augenlider hochschieben.

Donnerstag, 2. März 2006

Blue Moon

Hat der Mond Einfluss auf den Menschen oder nicht?
Die Wissenschaftler sagen "Nein". Oder zumindest: "Kaum." Vielleicht ein gefühlter Einfluss, wie eben eine gefühlte Temperatur, jedoch kein tatsächlicher, statistisch nachgewiesener Einfluss. Aber bestimmt nicht auch das Fühlen unsere persönliche Realität?

Hat der Mond also nun Einfluss oder nicht?

Ich sage: Ja. Auf mich schon. Ich gehe weder nach den Mondphasen zum Friseur oder tanze zusammen mit hennagefärbten Emanzen zu meinem Menstruationszyklen die "Vollmondin" an (und das ist nicht meiner wilden Fantasie entsprungen, so etwas gibt es tatsächlich - der Mond ist wie auch Gott und Jesus selbstverständlich eine Frau und ein Zyklus pure Musik... und weibliche Oberlippenbärte bei entsprechend lesbischer, aber vor allem männerfeindlicher Grundprägung eine feine Sache - ich war da, mitten unter ihnen, weil ich darüber schreiben musste, und ich hatte Angst!!).
Aber ich spüre den Vollmond. Er macht meine Katze bekloppt und er macht mich bekloppt. Weil wir ihn wahrnehmen. Weil die Nacht heller ist als sonst, selbst wenn es bewölkt ist, und weil er so wunderbar rund und groß am Himmel hängt und ständig meine Blicke anzieht. Immer und immer wieder muss ich hinschauen.
Im Studentenwohnheim machten mich Vollmondnächte ganz kirre. Wer den Mainzer Campus kennt: Inter I, ja, das berühmt-berüchtige internationale Studentenwohnheim, ein hässlicher Turm, aus dem sich schon zwei Bewohner in den Tod stürzten, in dem heimliche Kurden-Versammlungen stattgefunden haben und in dessen einer Küche mal ein Schaf geschächtet wurde. Legendär ist auch die Kakerlaken-Plage. Ich hatte eine unter meinem Waschbecken, bevor der Kammerjäger kam und wir alle drei Tage lang Kopfschmerzen hatten.
Jedenfalls wohnte ich im zehnten Stock, also hoch über Mainz, und unser polnischer Hausmeister zog es vor, von Oktober bis März die elektrischen Rollläden abzustellen. "Isse zu gefährlisch bei die Sturm." Nun, damit hatte er nicht ganz unrecht. Das Inter I steht in einer Windschneise, und schon so manche Seminararbeit ist bei Durchzug aus dem Fenster gesegelt. Gegenüber war die Wagenburg, ja, Punks und Emanzen und sehr, sehr alternative Studenten in Zirkuswägen. Da konnte man von oben allerlei lustige Dinge beobachten. DIE tanzten bestimmt nachts die Vollmondin an.
Ich hingegen lag hellwach in meinen 11 Quadratmetern und hatte Angst, einzuschlafen, weil der Mond so unerbittlich ins Fenster schien. Was, wenn ich tatsächlich schlafwandelte und aufs Fensterbrett stieg? Das Fenster öffnete? Sprang?
Schon alleine wegen dieser Fantasien waren Vollmondnächte anders als die übrigen Nächte. Intensiver, da beängstigend. Bewusster eben.
Und ich glaube auch, dass es in der Tat etwas Besonders ist, wenn man bei Vollmond ein Kind zur Welt bringt. Laut Statistiken kommen nicht mehr Kinder bei Vollmond zu Welt als sonst. Aber den Blick zum vollen, großen, blauen Mond vergisst keine werdende Mama, wenn sie mit dem hysterischen werdenden Papa am Steuer ins Krankenhaus fährt.
Früher übrigens, das geben die Wissenschaftler sogar zu, hat der Mond wohl tatsächlich die Menschen beeinflusst. Denn es gab noch keine Licht-Verschmutzung und der Unterschied zwischen einer klaren Vollmondnacht und einer Neumondnacht war gigantisch. Wir wissen heute ja nicht mal mehr, was echte Dunkelheit ist.
Im Mondschein Liebe zu machen, kann ich nur empfehlen. Rein technisch ist es sicher nicht anders als bei Kunstlicht. Aber man bildet sich bei entsprechender Stimmung doch eine Menge ein, wenn der Vollmond sein blaues Licht auf das Bett schickt. ;-)

Ich mag ihn jedenfalls, den Mond. Ich bin schon extra mit dem Fahrrad gegen Abend raus in die Natur gefahren, um ihn besser beobachten zu können, wenn er aufgeht. Und habe ab und zu, wenn er mir nachts unverhofft auf der Autobahn begegnete, irre groß und manchmal blutrot, lieben Menschen eine SMS geschrieben, dass sie sich mal schnell den Mond angucken sollen.
Aber es kam nie eine Antwort.

P.S. An dieser Stelle ein Filmtipp: "Mondsüchtig." Nicolas Cage und Cher in ihren besten, schönsten Rollen. Daher auch mein Name. Weil ich diesen Film wirklich und aufrichtig liebe.

Dienstag, 28. Februar 2006

Asozial?

Ich habe kein Problem damit, Schinken vom Aldi zu essen. Etwas, was für meine Mutter indiskutabel ist. Nein, keinerlei Berührungsängste. Überhaupt hat Aldi einige leckere Sachen, die ich in anderen Märkten vergeblich suche; und meine Reitweste vom Lidl ist unschlagbar und anscheinend auch unkaputtbar.
Nur: Ich gehe nicht gerne dort einkaufen. Oder überhaupt in Supermärkten in Sozialen Brennpunkten, die sich hier in Neuwied nahtlos aneinander reihen. Im Grunde ist Neuwied ein einziger sozialer Brennpunkt. Und ich bemerkte heute erst am zweiten Regal, dass ich wieder in einem Sozialen-Brennpunkt-Supermarkt gelandet bin.
Es gibt zwei Gründe, weshalb ich nicht gerne in solche Supermärkte gehe. Zum einen, weil ich eine sehr feine Nase habe und Schweißgeruch anscheinend zur Innenausstattung von Aldi und Lidl gehört. Menschen mit beißendem Schweiß im Polyacrylpullover. Ich kann mich dann nicht mehr auf die Nahrungsmittel konzentrieren. Schon gar nicht auf den Gedanken ans gekochte Essen. Und kaufe nur noch Mist ein.
Der andere Grund wiegt aber viel schwerer. Ich kann die gescheiterten Existenzen, die sich da durch die Gänge nölen, schieben, rollen, schmuddeln, nicht ertragen. Denn das, was andere tun - einfach weggucken, sich distanzieren, sich über diese Menschen erheben - gelingt mir nicht. Überheblichkeit hängt immer mit Ignoranz und Distanz zusammen. Ohne das ist Überheblichkeit unvollständig. Ich habe keine Distanz. Ich denke zwar: "Oh bitte, nicht diese dicke Schleim hustende und nach Schnaps stinkende Oma mit den fettigen drei Strähnen auf dem Kopf und den Hausschuhen über der zerrissenen Nylonstrumpfhose hinter mir an der Kasse, das ertrage ich nicht, da kriege ich keine Luft mehr....", aber ich kann auch nicht wegschauen. Ich suche nach Erklärungen. Nach etwas Nettem, Liebenswerten. Ich versuche zu verstehen, warum man so wird und frage mich, ob ich davor gefeit bin, so zu werden. Was muss passieren, dass ich so werde? Wie schnell kann es gehen? Und: Kann man da wieder rauskommen? Könnte diese Assi-Oma - und ich mag das Wort Assi nicht - sich noch ändern? Merkt sie eigentlich, dass sie stinkt? Sieht sie die Flecken auf ihrem ausgeleierten Pullover? Schämt sie sich vielleicht? Was tut ihr weh? Spürt sie überhaupt noch etwas? Hat sie jemand, der sie liebt? Hat sie Kinder und was ist aus ihnen geworden? Haben sie ein besseres Leben? Oder empfindet sie ihr Leben vielleicht gar nicht als schlecht? Nehme ich das nur an, weil ich in einem Haus voller Bücher und Bildung groß geworden bin und denke, das ist ein Glücksfall? (Ist es nicht zwingend...) Und diese Frau mit dem Kopftuch und dem verhuschten Blick und dem weinenden Kind auf dem Arm, hat sie vielleicht Angst hier in der Fremde? Versteht sie etwas von dem, was gesprochen wird? Ist ihr bewusst, wie laut ihre Kinder sind? Vermisst sie die Länder, in denen Kinder laut sein dürfen und keiner deshalb schief guckt? Versucht sie Deutsch zu lernen? Oder verbietet es ihr Mann? Weil er Angst hat, dass sie zu stark wird? Ist das nun wieder unser westliches Klischee-Denken? Aber vielleicht wird sie ja geschlagen - sie sieht so traurig aus. Und welche Chancen hat der plärrende Kleine? Eingequetscht zwischen tristen Wohnblocks und unzähligen sozialen Stolperfallen? Begreift so ein Kind, wo es aufwächst? Oder ist das völlig unerheblich, so lange es geliebt wird?
Es ist ein Gedankenkarussell, das spätestens in der Kassenschlange rasende Fahrt gewinnt und sich dreht und dreht... Ich fühle mich unwohl und schäme mich für mein Hochdeutsch, wenn ich mit der Kassiererin rede. Ich hab das Gefühl, mir die Hände waschen zu müssen, und auch dafür schäme ich mich. Ich habe nur die Hälfte der Sachen gekauft, die ich eigentlich haben wollte, weil ich es nicht mehr aushielt. Es ist so traurig. Es ist zu viel, um es auffangen zu können. In diesen Momenten würde ich so gerne etwas bewirken, aber sobald ich wieder in unseren fußbodengeheizten 108 Quadratmetern mit Flussblick bin, lässt die Anspannung nach und ich werde wieder realistisch. Was kann ich schon ausrichten? Ändern? Ich kann höchstens darüber schreiben, mehr liegt nicht in meiner Macht. Und wenn ich nicht aufpasse, gehöre ich vielleicht bald selbst dazu. Es kann passieren, jederzeit, an jedem Ort.
Die Fahrt nach unten ist für alle offen.

Montag, 27. Februar 2006

Narren-Phobie

Seit einer knappen Stunde schneit es heftig und ich kann eine leise, schwelende Gehässigkeit in Gedanken an all die Narren, die hier heute noch die Straßen stürmen wollen, nicht unterdrücken. Auch, wenn ich jetzt im Rheinischen zu Hause bin: Es sei mir verziehen. Habe ich doch als kleines Mädchen ein echtes Narren-Trauma erlitten, das nach wie vor nicht ausgeheilt ist.
Wie an jedem Wochenende und in jeden Ferien waren wir auch an Fasching bei meiner Oma im Odenwald, in einem kleinen, beschaulichen Kurstädtchen am Neckar. Dort gehörte der Fasnachtsumzug zu den Höhepunkten des Jahres. Sonst gab es da nämlich nicht all zu viel. Vielleicht noch der Kuckucksmarkt im Sommer.
Was für manche die schönste Zeit des Jahres war, vor allem für Kinder, die endlich zu Cowboys, Indianern und Piraten werden konnten, war für mich ein einziger Horrortrip. Dank meiner überquellenden Fantasie war ich lange davon überzeugt, dass es Hexen, Feen, Zwerge und Kobolde gibt - - Mörder, Diebe und Halunken aber waren, da war ich mir sicher, garantiert eine Erfindung der Erwachsenen. Vor ihnen fürchtete ich mich nicht, wohl aber vor Hexen, Zwergen und bösen Feen. Ich spüre noch heute diese Panik im Nacken, die mich packte und schüttelte, als ich bei meinem ersten Faschingsumzug die vielen, hässlichen Hexen mit ihren langen spitzen (alemannischen) Fingern auf mich zulaufen sah. Oh Gott, weg, fliehen, sofort, warum bleibt Papa denn stehen, warum bleibt meine Schwester stehen, merken die denn nichts? Warum kapiert das keiner? Die werden uns alle verzaubern oder einsperren oder die Augen auskratzen, jedenfalls ganz bestimmt etwas Schlimmes, ich will weg, warum bringt mich keiner weg!!??
Nein, es brachte mich keiner weg, die Hexen kamen näher und näher und ich begann zu schreien wie am Spieß. Nun war das nichts Außergewöhnliches, wenn ich schrie. Ich schrie auch, wenn ich nicht mehr weitergehen wollte und legte mich dann gerne quer über den Weg, selbst im tiefsten Winter; ich schrie, wenn mir die anderen Kinder im Kindergarten zu laut wurden und besonders durchdringend schrie ich in dem winzigen Skischuh-Anziehraum au der Glösalm, der einfach grässlich eng und stickig war. Man lächelte also auch hier über mein Geplärre. Papa nahm mich zwar auf den Arm, aber zur Flucht war er nicht bereit. Ich musste sie ertragen, die Hexen, Jahr für Jahr, obwohl mir die Angst schon Stunden vor dem Umzug, beim Schminken und Verkleiden, eiskalt den Rücken hochkrabbelte.
Irgendwann kapierte ich, dass diese fürchterlichen Weiber nur so taten, als ob und nicht wirklich böse waren; und zu diesem Zeitpunkt hatte ich auch verstanden, dass es tatsächlich Mörder und Diebe und Halunken gibt. Trotzdem war ich mir nachts nicht immer ganz sicher, ob sich da nicht doch eine böse Fee in meinen Jacken seitlich am Schrank versteckt. Sie würde da doch wunderbar auf mich lauern können.
Um ungetrübte Freude am Faschingstreiben zu entwickeln, war es zu spät. So ist es geblieben. Ich mag es nicht. Und inzwischen weiß ich durch die Arbeit für die Zeitung auch, dass für die Narren Fasnacht eine todernste Sache ist. Da werden Zeilen gezählt und mit den anderen Vereinsberichten verglichen, da werden Fotos ausgemessen und bei einem Hauch von Ironie zwischen den Zeilen mit einer Massen-Abo-Kündigung gedroht.
Insofern fiebere ich sehnsüchtig dem Aschermittwoch entgegen.
Fasching

Samstag, 18. Februar 2006

Das Samstagsgefühl

Der Samstag ist so etwas wie mein heiliger Tag. Aus dem einfachen Grund: Sonntags erscheinen keine Tageszeitungen. Ergo herrscht in den Redaktionen samstags gähnende Leere. Niemand kommt auf die Idee, mich anzurufen und mir Aufträge zu geben. Das Telefon schweigt. Das Handy schweigt. Outlook sammelt nur private Nachrichten.
Das ist für mich Luxus. Ganz egal, ob ich wie heute zwei Termine habe (eine Ausstellung, eine Schloss-Restaurierung) und gleich anschließend schreiben muss. Es ist wie das Gefühl, dass ich früher manchmal hatte, wenn ich erkältet war und meine Mutter beschloss, mich lieber zu Hause zu lassen - was selten genug war. Mein Papa war da noch gnadenloser. Selbst meinen Hexenschuss, bei dem ich zehn Minuten brauchte, um aus dem Bett zu kriechen und den ganzen Tag schief durch die Schule lief, interpretierte er als Arbeitsscheu. Aber manchmal gab es diese Momente. Ich durfte mich wieder einkuscheln, während alle anderen in die Schule mussten.
Ähnlich schön: Wenn ich sonntags hochschreckte, weil ich dachte, verschlafen zu haben und schon den Schuldruck im Nacken spürte, und erst nach einigen düsteren Sekunden registrierte, dass ja Sonntag ist. Ausschlafen. Liegen bleiben. In der Wärme. Geborgen. Am besten war dieses Gefühl, wenn es draußen in Strömen schüttete. Wie heute morgen.
Früher, zu Schulzeiten, habe ich dann exzessiv ausgeschlafen. Manchmal bis zum Mittagessen. Kann ich heute nicht mehr, will ich auch nicht. Mammutjäger und ich standen auch heute zeitig auf, weil wir beide arbeiten müssen. Trotzdem gönnte ich mir, nach dem Frühstück noch ein bisschen sitzen zu bleiben. Den Immobilienanteil zu studieren, bis zur letzten Anzeige in der leisen Hoffnung, doch auf unser Traumhaus zu stoßen (renovierter Bauernhof mit Nebengebäuden und Werkstatt in der Nähe von Koblenz) (genug Platz) (positives Qi) (Fernblick) (uneinsehbarer Innenhof); genüsslich den Kaffee zu schlürfen; diese Ruhe zu genießen.

Der nahende Frühling scheint übrigens mein Hirn matschig zu machen. Seit einigen Tagen drängt sich in mir wieder einmal der Wunsch auf, zu basteln. Irgendwas Österliches. Mit Gelb und Grün, frisch und fröhlich. Ich will Farbe! Ich will Blumen. Ich denke an Serviettentechnik. Ich hatte schon einmal eine Serviettentechnikphase. Ich finde schon das Wort Serviettentechnik so schrecklich spießig. Aber es macht Laune. Versuche mich dennoch zu beherrschen.

P.S. TV-Tipp: Olympia, irgendne Skiabfahrt. Es schneit ohne Ende, die Fahrer sehen die Spur kaum, die Co-Kommentatorin läuft über vor Bedauern und Mitleid. Sehr lustig.

Samstag, 4. Februar 2006

Lust auf Milchkaffee?

Das war der Schlusssatz einer Kontaktanzeige "Er sucht Sie", die ich heute Morgen beim Frühstück studierte. Nur so zum Spaß im "Was wäre wenn"-Modus. Was wäre, wenn ich mir einen neuen Mammutjäger suchen müsste. Da draußen in der Wildnis.
Die Kontaktanzeige hatte sich sogar ganz nett angehört; der letzte Satz aber machte alles zunichte. "Lust auf Milchkaffe?" Sofort bestürmten unzählige Assoziationen mein halbwaches Hirn. "Ey, du, das kann ich verstehen"-Gespräche mit geschiedenen und traumatisierten Mittvierzigern, die angesichts langjähriger Therapieerfahrung meinen alles zu verstehen, nur nicht, wie es im richtigen Leben zugeht; Männer, die glauben, eine Frau müsse nur lange genug zärtlich gestreichelt werden, um einen Orgasmus zu bekommen und das ihr Geheimrezept schlechthin ist; Männer, die "Die fabelhafte Welt der Amelie" im DVD-Schrank stehen haben und für sich herausgefunden haben, dass blauer Alcantara kombiniert mit Glas und Chrom das Nonplusultra der modernen Inneneinrichtung ist (oder sogar beim Ikea-Regal hängen geblieben sind); Männer, die mir väterlich den Arm um die Schulter legen bei jeder noch so unpassenden Gelegenheit; Männer, die Tränenausbrüche für die logische Antwort auf die weibliche Emanzipation halten und ihre beiden Söhne aus der ersten gescheiterten Ehe mit Erzieherin Petra (rothaarig, dominant, inzwischen lesbisch) Thorben und Jonas genannt haben (Thorben und Jonas haben zu Weihnachten einen Bagger aus naturbelassenem Holz bekommen).
Nachdem ich Mammutjäger dramatisch meine Befürchtungen, ausgelöst durch nur einen Satz, geschildert hatte, sagte er, ich sei entsetzlich anspruchsvoll, verwöhnt und eine Spur grausam.
Und ich hoffe seitdem, niemals in die Situation zu kommen, auf Kontaktanzeigen angewiesen zu sein.
Nicht, weil ich denke, dass sich hinter ihnen eine Niete nach der anderen versteckt. Da sind sicher eine Menge netter Männer dabei, die die Jagd in freier Wildbahn nur einfach scheuen. Sondern weil ich jede einzelne Formulierung wie ein Chirurg zerteile und hinter ihr die große Niete vermute.

Und doch sagt mir mein Gefühl weiterhin: Männer, die eine Frau mit Milchkaffee locken, sind nix für mich.
Das muss schon ein starker, feuriger Espresso sein.


P.S. Es leben die Klischees! ;-) (denn ohne sie keine Filme, keine Romane, keine Soaps, keine Märchen....)

Dienstag, 31. Januar 2006

Warum?

Im Moment höre ich wieder ständig davon in meinem Bekannten- und Internet- und Nachrichtenkreis: Frauen, die sich von miesen Typen quälen lassen oder ließen und mit den Nachwehen kämpfen. Kluge Frauen. Hübsche Frauen. Talentierte Frauen.
Holen sich ein Arschloch ins Haus und Bahn frei für Saufereien, Schläge, Stalking, Unterdrückung, Tyrannei. Ich werfe den ersten Stein, denn ich gehöre auch zu diesen Frauen. Hab mich beleidigen, verletzen, erniedrigen, schlagen lassen. Drei anstrengende Jahre lang.
Warum machen wir das? Was setzt da aus bei uns? Warum erkennen wir es nicht? Warum machen wir anfangs erst Recht eine feste Beziehung daraus, wenn uns andere warnen? Als hätte es dann einen besonderen Reiz?
Ist es dieses "Die Schöne und das Biest"-Klischee, nach dem Motto: Nur ich werde ihn zähmen? Alleine ich. Ich werde ihn verändern.
Und warum bleiben wir oft so lange, wenn wir eigentlich schon längst wissen, dass wir so etwas nie wollten? Warum verteidigen wir ihn vor anderen? Warum leugnen wir sogar, dass er uns schlecht behandelt oder gar schlägt? Warum sind wir bereit, wegen ihm Freunde zu verlieren und die Arbeit zu vernachlässigen, weil er uns wieder mal eine ganze Nacht mit Vorwürfen und Drohungen wach gehalten hat?
Ist es die Angst vor der Erkenntnis, sich geirrt zu haben? Die Scham darüber, dass man sich jahrelang mies behandeln ließ und es nicht schaffte, ihn zu ändern? Ist es irgendeine verquere Auffassung von Loyalität? Oder die Hoffnung, dass sich doch noch alles wandelt?
Als ich es nach drei Jahren endlich schaffte, zu gehen, war es kein Pappenstiel. Er ließ es ja nicht einfach so zu. Jetzt kam erst der echte Terror. Ständige Anrufe, nachts besonders gerne, mal flehend, mal Morddrohungen, dann stand er vor meiner Tür, schlug dagegen, nahm einmal fast meine Wohnung auseinander, und ich war anfangs so gefangen, so hilflos. Mein Herz wie ein Presslufthammer. Es dauerte Stunden, bis ich nach einem solchen Anschlag wieder ruhig atmen konnte.
Das Telefonklingeln ist seither ein Geräusch, dass mir erst einmal Angst macht; der Griff zum Hörer immer mit Überwindung verbunden. Das Handy unliebsamer Ballast. Der Gang zur Haustür immer mit Angst im Nacken, obwohl ich in einer anderen Stadt wohne.
Die ersten zwei Jahre nach der Trennung jede Nacht der gleiche Traum: Dass ich völlig ohne Sinn und Verstand zu ihm zurück gekehrt bin, freiwillig, zu spät erkenne, was ich da für einen Wahnsinn begehe, aber nun weiß: Wenn ich ihn jetzt nochmal verlasse, bringt er mich wirklich um. Ich kann nicht. Ich kann nicht! Ich muss bleiben! Oh Gott, was hab ich da gemacht! Was hab ich nur gemacht!
Nun kommt er nur noch selten, dieser Traum. Ich trau mir selbst wieder ein bisschen über den Weg, mir und meinem Urteilsvermögen.
Das "Warum" kann ich immer noch nicht beantworten. Es sind nur Versuche.
Vielleicht spielt es aber auch gar keine Rolle. Entscheidend ist, dass frau sich befreit. Es ist höllisch schwer, aber es geht. Und es lohnt sich. Und es ist vor allem nie zu spät dafür.
Ich werde nie das erste Weihnachten nach dieser Horrorbeziehung vergessen. Ich war solo, ja, aber alleine das Wissen, dass mich heute niemand bedrohen wird, niemand mit mir streiten wird, mir Vorwürfe macht, sich niemand besäuft, war das schönste Geschenk. Es war Frieden. Ich hab mir lauter Teelichter angemacht und es genossen, einfach nur da zu sitzen. Alleine. Es war wirklich wunderschön.

Samstag, 28. Januar 2006

Booooooot

Gestern auf der Boot in Düsseldorf: In Halle 6 staunt der Mob - allerdings vergeblich. "Wir haben heute einen solchen Andrang", sagt die mollige Dame in Glitzerjacket hinter der Absperrung zu einem unfassbar großen, mehrstöckigen Wohn"boot" zu der Mama mit den drei Kindern, die soooo gerne mal da drauf wollen. "Wir können keinen mehr hochlassen." Auf dem "Boot" ist niemand zu sehen außer vereinzelt wachsamem Sicherheitspersonal. Womöglich belegt der "Andrang" gerade die Kombüse.
Nein, ist schon klar. Das hier ist ein Zoo, bei dem der Mob mal ein bisschen die eingegitterten Reichen bestaunen kann, mehr aber auch nicht. Die nehmen auch nicht den Messebuss, sondern werden in Luxuslimousinen angekarrt. Ich hab kein Problem damit. Ich finde es amüsant, zumal mir kaum eine der Yachten gefällt. Zu viel Kitsch, zu wenig Stil, zu viel Plüsch und Gold. Eine allerdings war dabei, die mir gefallen könnte - reinweiß mit nachtblauen Details; dazu Edelhölzer in heller Teakoptik. Sehr windschittig, nicht zu riesig. Größer allerdings als unsere Wohnung. Tankfassungsvermögen 22.000 Liter. Na denn.
Es ist schön anzuschauen, aber ich verspüre glücklicherweise weder Neid noch den Wunsch, so etwas besitzen zu wollen. Besitz wird für mich immer mehr zu Ballast.
Trotzdem freuen wir uns auf den ersten warmen Sommertag, wenn wir das RIB aus der Halle holen und uns wieder in das Abenteuer namens Rhein stürzen. Will dieses halsbrecherische Gerät ohne WC oder Kabine mit seinen röhrenden 140 PS momentan gegen keine Yacht dieser Welt tauschen. Auf keinem anderen schnellen Boot ist man so nah am Wasser und an den Wellen, bei keinem ist man den Elementen so ausgesetzt. Nach fünf Stunden Gucken und glühenden Füßen wussten wir einmal mehr, dass wir uns richtig entschieden hatten.
Und wollen es diesen Sommer wagen - raus aufs Meer.
Es bleibt also spannend.
P.S. Ärgerlich: Wollte mein erstes "Street-Fotografie"-Experiment starten, mit einer kleinen Kamera - es gab unzählige tolle Motive, vor allem dieses Spannungsfeld Mob-Luxus, aber die Akkus waren leer. Verdammt. Daher nur ein mieses Bild per Handy von einem sehr unspannendem Moment.
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